Selbstvertrauen durch Rückzug: Der Tanz des Vertrauens in uns selbst

Dieses Foto aus Oktober 2022 zeigt Anat, als sie sich nach einigen Tagen im Garten zum ersten Mal ins Haus getraut hat. Ein bedeutungsvoller Moment, der ihren ersten Schritt in eine neue, sichere Umgebung symbolisiert.

Dieses Foto aus Oktober 2022 zeigt Anat, als sie sich nach einigen Tagen im Garten zum ersten Mal ins Haus getraut hat. In ihrem einen Auge sieht man deutlich die Furcht, im anderen die Neugier. Beides darf sein, und beides bekommt den Raum, den es braucht – ein symbolischer Moment auf ihrem Weg in unser Herz.“

Lesezeit: 7 Minuten | Hörzeit: 15 Minuten (Teilweise vorgelesen + spontane Erzählungen)

In diesem Text möchte ich erkunden, wie Rückzug – sowohl bei meinem Hund Anat als auch bei mir selbst – nicht nur als Reaktion auf Unsicherheit und Überforderung, sondern auch als eine Form von Selbstfürsorge verstanden werden kann.

Anat hat mir gezeigt, dass Rückzug eine Möglichkeit ist, sich zu schützen und sich Raum zu geben, um sich sicher zu fühlen. Doch bei mir selbst habe ich diesen Rückzug lange verurteilt und als Schwäche empfunden.

Mit diesem Text will ich herausfinden, warum das so ist und wie ich lernen kann, mit mehr Geduld und Mitgefühl auf meine eigenen Bedürfnisse zu reagieren – so wie ich es bei Anat tue.

Lisa wartet geduldig und liebevoll, bis Anat sich sicher genug fühlt, näher zu ihr und dem Futterteller neben ihr zu kommen. Sie gibt ihr spürbar die Zeit, die sie braucht.

Liebevolle Geduld

“Es gibt für mich nichts schöneres und erfüllenderes, als ein Lebewesen aus der Angst ins Vertrauen zu begleiten. ”

Anat und der Weg zum Vertrauen: Emotionen und Erkenntnisse

Heute feiern wir Anats zweijähriges Homecoming. Beim Durchstöbern der Fotos aus den letzten zwei Jahren wurde ich von starken Emotionen überwältigt. Ich musste weinen, erfüllt von Liebe, als ich sah, wie Anat gelernt hat zu vertrauen.

Sie war anders als die anderen Hunde in unserem Rudel – sie brauchte mehr Zeit, um Nähe zuzulassen. Doch ich sah dies nie als Schwäche. Im Gegenteil, ich bewunderte sie für ihre Fähigkeit, sich den Raum zu nehmen, den sie braucht, um sich sicher zu fühlen. Diese besondere Kraft hat mich tief beeindruckt und mir gleichzeitig einen Spiegel vorgehalten.

Selbstfürsorge durch Rückzug: Was mir Anat über Sicherheit lehrt

Anats Verhalten hat mir gezeigt, dass Rückzug keine Schwäche ist, sondern ein notwendiger Akt der Selbstfürsorge – eine Lektion, die ich selbst schwer annehmen konnte. Wie Anat ziehe auch ich mich oft zurück, wenn ich mich unsicher fühle.

Anat in der Kartoffelkiste

Anat liegt in einer Kartoffelkiste, ihrem Rückzugsort, und schläft mit halb geöffneten Augen, um sich sicherer zu fühlen. Der Moment spiegelt sowohl ihren Wunsch nach Sicherheit als auch ihre Wachsamkeit wider.

Doch während ich ihren Rückzug als Kraft sehe, habe ich mich lange für meine eigenen Reaktionen verurteilt. Wenn ich mich überwältigt fühle, kommt dieser Rückzug plötzlich, wie ein Schwall aus Schwere und Antriebslosigkeit, und der Wunsch, allein zu sein, wird übermächtig. Ich nenne es Schwall der Schere, andere nennen es Depression.

Früher dachte ich, es sei „falsch“, mich zu isolieren, anstatt zu erkennen, dass mein Körper versucht, mir den Raum zu geben, den ich brauche, um Druck abzubauen.

De-pressiv (De-pression) – als ob mein Körper mir damit den Druck nimmt, und mir die Möglichkeit gibt zur Ruhe zu kommen.
— Ein Wortspiel

Heute beginne ich zu erkennen, dass Rückzug mir, wie Anat, Sicherheit geben kann. Dennoch frage ich mich oft:

“Warum fällt es mir so schwer, mir diesen Raum zuzugestehen? Wieso verurteile ich mich dafür, wenn mein Körper doch ganz klar signalisiert, dass er diesen Rückzug braucht, um Druck abzubauen?”

Angst macht müde

Anat liegt völlig erschöpft unter einem Stuhl. Die Anstrengung, die Angst mit sich bringt, ist ihr deutlich anzusehen. Dieser Moment zeigt, wie wichtig es ist, sich zu erholen und nach intensiven Phasen der Furcht zur Ruhe zu kommen.

Alte Glaubenssätze loslassen: Den Weg aus der Selbstverurteilung finden

Mit der Zeit habe ich gelernt, meine automatische Reaktion, den Schwall der Schwere (Depression), zu hinterfragen und besser zu verstehen. Inzwischen erkenne ich klarer, in welchen Momenten dieser Schwall über mich kommt:

  • Wenn ich mich offen und verletzlich zeige, aber den Eindruck habe, nicht wertgeschätzt zu werden.

  • Wenn ich den Eindruck habe, ungerecht behandelt zu werden.

  • Wenn ich den Eindruck bekomme, dass jemand etwas über mich denkt, das meiner Wahrnehmung nach nicht wahr ist, und ich das dringende Bedürfnis verspüre, dass die Person ihre Sicht auf mich ändert.

  • Wenn ich den Eindruck habe, dass Erwartungen an mich gestellt werden, die ich nicht erfüllen möchte, mich aber nicht traue, das klar zu sagen.

Oft nehme ich diese Gedanken und Gefühle so stark wahr, dass sie sich wie absolute Wahrheiten anfühlen. Doch gleichzeitig tritt ein Teil von mir – mein sogenanntes „Meta-Ich“ – in den Vordergrund. Dieses Meta-Ich ist eine beobachtende Instanz, die versucht, den Schwall der Schwere und den Wunsch nach Isolation aus einer gewissen Distanz zu analysieren.

Es ist sozusagen mein „therapeutisches Ich“, das mir sagt:

„Diese Gedanken und Gefühle entspringen dem alten Glaubenssatz, dass du nicht genug bist – ein Glaubenssatz, der heute keine Relevanz mehr hat. Er verursacht das Gefühl der Schwere und den Wunsch, dich zurückzuziehen.“

Mein „therapeutisches Ich“ erkennt also, dass der Schwall der Schwere eine automatische Reaktion auf diese alten und unwahren Glaubenssatz ist. Doch anstatt mir mit Geduld und Mitgefühl zu begegnen, reagiert es oft ungeduldig und verurteilend.

Es sagt mir:

„Du solltest endlich verstehen, dass du genug bist. Wenn du das begreifst, wirst du keine Sicherheit mehr in der Isolation suchen müssen und kannst endlich frei von dieser Schwere sein.“

Doch auch diese innere Stimme, die zwar analytisch und “verständnis”-voll scheint, übt Druck auf mich aus – als ob ich schneller 'heilen' müsste.

Ich erkenne wie viel Härte und Selbstverurteilung in dieser Art und Weise zu mir selbst steckt. So würde ich niemals mit Anat reden, wenn sie sich zurückzieht.

Es wäre doch vollkommen absurd, zu sagen:

„Anat, deine schlechten Erfahrungen mit Menschen sind vorbei. Du bist jetzt bei uns, du bist hier sicher. Du solltest das doch endlich verstehen und aufhören, Angst zu haben – es macht doch keinen Sinn, weiter Angst zu empfinden.“

Und dennoch erwarte ich genau das von mir selbst. Ich denke, dass ich einfach aufhören sollte, Angst zu haben, nur weil mein „therapeutisches Ich“ es mir logisch erklärt. Aber so funktioniert Vertrauen nicht. Vertrauen baut sich nicht durch rationale Einsicht auf.

Vertrauen ist wie ein langsamer, behutsamer Tanz, bei dem beide Partner Schritt für Schritt lernen, sich aufeinander einzulassen. Es braucht Zeit, Raum und innere Verlässlichkeit – diese Sicherheit, die sagt: „Ich bin hier, ich bleibe, und ich bin geduldig mit dir, solange bis du dich traust, wieder hervorzukommen.“

Doch was mache ich stattdessen? Ich erwarte, dass ich mich sofort sicher fühle, ohne mir die Zeit und den Raum zu geben, um diesen Tanz des Vertrauens überhaupt zu beginnen.

Wenn ich mir nicht erlaube, diesen Raum einzunehmen – wenn ich mir nicht dieselbe liebevolle Geduld entgegenbringe wie ich sie Anat entgegenbringe – dann bleibt die Beziehung zu mir selbst unzuverlässig, hart und ungeduldig. Wie soll Vertrauen in einer solchen Beziehung entstehen?

Vertrauen kann nur in einem Umfeld wachsen, in dem genug Raum für langsame Schritte bleibt, in dem ich mich sicher genug fühle, um mit mir selbst diesen Tanz zu führen.

Wenn ich mir nicht die Zeit und Sicherheit erlaube, die ich brauche, ist es kein Wunder, dass der Schwall der Schwere immer wiederkehrt und ich den Wunsch nach Rückzug so stark verspüre. Mein Körper versucht, mir deutlich zu machen, was fehlt – Selbstvertrauen.

In diesem Video vom 22.10.22 siehst du, wie Anat behutsam den anderen Hunden vorgestellt wird, während ich sie liebevoll in meinen Armen halte. Neugierig schnüffeln die Hunde an ihr, während Anat sich sicher und geborgen in meinem Armen fühlt. Dieser Moment verkörpert den ‚Tanz des Vertrauens‘ – ein sanfter Prozess, bei dem Vertrauen durch Geduld, Schutz und Rückzug wächst.

Rückzug als Selbstfürsorge: Achtsamkeit und Akzeptanz lernen

Ich bemerke gerade, dass ich in den Momenten, wo mich der Schwall der Schwere im sozialen Setting erwischt, oft so tue, als sei alles in Ordnung, obwohl ich in Wahrheit traurig oder wütend bin. Anat würde einfach weglaufen, und genau das möchte ich mir nun auch erlauben.

Ich möchte mir von nun an erlauben, bewusst davonzulaufen, wenn ich mich nicht sicher fühle. Dabei meine ich nicht das impulsive Wegrennen, sondern einen achtsamen Rückzug, bei dem ich mir bewusst den Raum gebe, den ich brauche.

Es ist ein Davonlaufen in die Sicherheit, nicht vor der Unsicherheit. Wenn dieser Rückzug bedeutet, dass ich mich isolieren muss, um wieder klarer zu atmen und bei mir selbst anzukommen, dann soll es so sein.

Dieses „bewusste“ Davonlaufen kann tatsächlich kraftvoll sein, denn vielleicht will die Schwere, die mich in die Isolation zieht, mir etwas Wesentliches zeigen – möglicherweise, dass ich erst im Rückzug meine wahren Bedürfnisse erkenne und verstehe, wie ich mich wieder sicher fühle.

Widerstände erkennen: Warum ich mir den Rückzug so schwer mache

Mir fällt es oft schwer, mir die „Erlaubnis“ zum Rückzug zu geben, und so bleibe ich zunächst im Widerstand. Mein Rückzug mag für andere befremdlich wirken, vielleicht macht er sie sogar traurig. Genau diese Vorstellung erschwert es mir, in den Rückzug zu gehen – die Sorge, andere vor den Kopf zu stoßen.

Diese Erfahrung habe ich in der Vergangenheit in vielen Freundschaften gemacht. Mein Widerstand gegen den Rückzug entsteht nicht nur durch den inneren Erwartungsdruck meines therapeutischen Ichs, sondern auch durch die vermeintlichen Erwartungen meiner Mitmenschen.

Oft bin ich davon überzeugt, dass andere von mir erwarten, in Beziehung zu bleiben, mich zu erklären oder mich nicht zurückzuziehen. Aber dabei muss ich mir bewusst machen, dass diese Wahrnehmung wahrscheinlich eine Projektion meines eigenen inneren Drucks ist.

Vielleicht existieren diese Erwartungen gar nicht wirklich und sind nur ein Konstrukt meines Verstandes, der immer wieder glaubt, gefallen zu müssen. Und selbst wenn Menschen tatsächlich diese Erwartungen an mich haben, bleibt die Entscheidung bei mir, wie ich damit umgehe.

Wenn ich meinem eigenen Bedürfnis nach Rückzug Raum gebe, erkenne ich, dass ich nicht verpflichtet bin, diesen externen oder inneren Druck zu erfüllen. Stattdessen kann ich lernen, auf meine eigenen Bedürfnisse zu hören und sie zu respektieren, ohne mich ständig durch die vermeintlichen Erwartungen anderer leiten zu lassen.

"Indem ich mich meinen wahren Gefühlen hingebe und ihnen Raum gebe, zeige ich mir selbst, dass ich genug bin."

Schlussgedanke: Im Tanz des Vertrauens Geduld und Selbstannahme finden

Letztlich möchte ich lernen, mich mir selbst so zuzuwenden, wie ich es bei Anat getan habe – mit Geduld, Aufmerksamkeit und Hingabe. Ich will akzeptieren, dass ich, um mich sicher zu fühlen, Zeit und Raum brauche, um mich langsam wieder dem Leben und den Beziehungen zu öffnen.

Ich möchte meinen eigenen Tanz des Vertrauens lernen, ganz in meinem eigenen Tempo. Sowohl die Angst als auch das Bedürfnis nach Sicherheit werden mir den Weg weisen.

Indem ich beide anerkenne – die Angst als Zeichen, wo ich mich zurückziehen muss, und die Sicherheit als Hinweis, wo ich bereit bin, wieder in Beziehung zu treten – finde ich Schritt für Schritt meinen eigenen Tanz des Vertrauens. So darf es sein.

Anat am Strand, nach einem langen, wilden Spiel mit den anderen Hunden in den Wellen und im Sand. Sie blickt mit einem zarten, fast dankbaren Ausdruck zurück zu mir, als würde sie ‚Danke‘ sagen.

Anat am Strand, nach einem langen, wilden Spiel mit den anderen Hunden in den Wellen und im Sand. Sie blickt mit einem zarten, fast dankbaren Ausdruck zurück zu mir, als würde sie ‚Danke‘ sagen. Die helle Sonne scheint auf sie, während sie entspannt und angekommen wirkt – ein Moment voller Ruhe und Sicherheit.

Dieser Raum ist für persönliche Entdeckungen, für das Fühlen, für radikales ehrlich sein. Ich lade dich ein, mich durch die Zyklen des Lebens zu begleiten. Nimm mit, was mit dir in Resonanz geht, und lass den Rest los. Wir wachsen gemeinsam, auf ganz individuelle Weise.
— Lisa
Lisa Krause

Lisa Krause is a German clinical psychologist (M.Sc) and body-oriented naturopathic psychotherapist, currently residing in Oaxaca, Mexico. A life-changing genetic diagnosis ignited her path toward healing deep-rooted trauma, where she turned to self-directed therapy, mindfulness practices, and psychedelics. Today, Lisa integrates these transformative experiences into her work, advocating for innovative, body-focused methods.

https://www.lisakrause.com
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